Sonntag, 27. Juni 2010

Für immer und Selig [Cappui]

Wenn mich Leute fragen, ob ich in diesem Jahr auf der Kieler Woche war, kann ich stolz sagen: „Natürlich – am Dienstag.“ Mehr braucht es wirklich nicht, denn ständig die selben Bands und immer betrunkenere Jugendliche muss man sich wirklich nicht all zu oft geben. Da kann noch so viel von „back to the roots“ geschwafelt werden – nur, weil das gelb-blaue Zirkuszelt nach vielen Jahren erstmals wieder auf der Reventlouwiese steht, heißt es nicht, dass dort wie früher recht unbekannte Rockbands auftreten und man sich genüsslich mit seinen mitgebrachten Bierdosen, einer Kippe und entfernten Bekannten neben dem Zelt auf der Wiese niederlässt und den Abend genießt. Das scheitert ja schon an den Bierdosen. Auch wenn es ja mittlerweile wieder welche zu kaufen gibt. Aber wer macht das schon?

Warum ich am Dienstag dann aber doch auf der KiWo war? Um es vorwegzunehmen: Ich habe von dem ganzen Trubel kaum etwas mitbekommen, bin direkt zur Hörnbühne und zurück, habe damit fast keine dieser unzähligen Verkaufsstände gesehen und musste mich nicht ein einziges Mal darüber echauffieren, dass es wegen überfüllter Wege nicht voran ging. Hooray! Und das Ganze passierte natürlich am Dienstagabend, weil dort mit Selig eine Band spielte, die ich schon in den 90ern großartig fand, aber nie live sehen konnte – dabei spielte sie damals irgendwann sogar mal im MAX. Tun sie auch jetzt wieder, aber mittlerweile verlangen Plewka, Neander und Co. dafür unsägliche 32 Euro. Das geht gar nicht, zumal Steffen immer davon schwärmt, dass er nur 12 Mark damals für Selig und Nationalgalerie im Doppelpack zahlen musste.

Jetzt also zum ersten Mal Selig, und passenderweise habe ich mein schniekes „Jetzt erst ECHT“-Shirt angezogen. Kim Franks Band galt ja einst – nicht wirklich zurecht – als die „neuen Selig“, als sie durchstartete. Als ich vor dem Konzert zufällig eine KIELerLEBEN-Redakteurin samt ihren Freund treffe, wird mein Shirt auch gleich kritisch beäugt. Ich kontere gekonnt mit „Naja, Selig sind doch die neuen Echt“, woraufhin mir erklärt wird, dass ich ja völlig falsch liegen würde, da es Selig ja schon in den 90ern gab, sogar länger als Echt. Keiner versteht meinen Humor. Mit den Worten „Mir ist es hier zu blöd“ verlässt die KIELerLEBEN-Redakteurin samt Freund anschließend meine Gesellschaft, aber das hat sicher nichts mit mir zu tun. Auf jeden Fall mache ich mir darüber keinen Kopf, sondern gucke mir lieber mal den Rest des schon anwesenden Publikums an: Die schleswig-holsteinischen Turbojugenden sind bereits vielzählig am Start und ebensozählig betrunken. In den ersten Reihen hingegen kauern viele geschminkte Teenie-Mädels, bei denen ich mich frage, woher sie Selig überhaupt kennen, wenn sie doch quasi erst bei deren ersten großen Hit „Sie hat geschrien“ versehentlich gezeugt wurden. Erst Minuten später erkenne ich an einem „One Fine Day“-Shirt, das eines der Kids vorne trägt, den wahren Grund ihrer Erste-Reihe-Warterei. Armes Selig.

Mittlerweile ist der Platz vor der Hörnbühne wirklich schon sehr gut gefüllt, als denn endlich Tim und Tine vorbeikommen. Zwei Minuten später betreten dann auch schon pünktlich Selig die Bühne, weitere zwei Minuten später auch endlich Jan Plewka, der sich ganz Rockstar-esque einen Sonderapplaus abholen darf. Die Band fängt auch gleich mit dem Klassiker „Ist es wichtig?“ an und bestätigt damit, dass man nicht nur Songs vom letztjährigen Comeback-Album spielen wird. Gut so. Musikalisch ist das alles auch mehr als ordentlich. Warum sollten die Herren es auch verlernt haben? Sie waren ja in der Zwischenzeit auch nicht untätig. So hatte Plewka neben einiger Solosachen mit Zinoba und TempEau auch zwei neue Bands, und Gitarrist Christian Neander konnte seine Gitarrenskills in der Liveband von Ingo Pohlmann schärfen. Offenbar hat er von ebendiesem auch diese schreckliche Stadionrock-Atmosphäre bei Selig importiert. Es vergeht kaum ein Lied, in dem Jan Plewka nicht dazu aufruft, mitzuklatschen oder zu -singen. Was natürlich kaum jemand tut, denn die ersten Reihen beobachten lieber One Fine Day, die gerade „backstage“ ein Interview aufzeichnen. Und die Turbojugenden? Die haben wechselweise Bier in der Hand oder im Mund und können deshalb nicht mitmachen. Vermutlich sind sie auch zu stolz dazu.

Selig sind dennoch augenscheinlich nicht unglücklich über die Stimmung, was vielleicht auch am Wetter und den umherschwirrenden Heißluftballons liegt. Jan Plewka, den ich mittlerweile als den „neuen Hartmut Engler“ tituliere, versucht es trotzdem ein einziges Mal mit einem auffordernden „das geht noch lauter“, vergisst dabei aber offenbar, dass wir hier nicht auf einem Vuvuzela-Konzert sind. Die neuen Revolverheld legen dann noch einmal richtig los, im Grunde fehlt nur noch ihr WM-Hit. Kurz darauf stimmen die neuen Tomte mit „Die Besten“ einen ihrer Klassiker an, und plötzlich ergeben die Songzeilen „ich dacht', wir hätten uns gefunden / ich dachte schon, wir könnten die Besten sein“ einen völlig neuen Sinn. Damit muss doch einfach Jogis Elf gemeint sein.

So beschleicht mich auch nach den beiden phantastischen Zugaben, logischerweise „Wenn ich wollte“ und das Gänsehaut erzeugende „Ohne Dich“, ein merkwürdiges Gefühl, als hätte sich wieder einmal eine der geliebten Bands aus der Vergangenheit verkauft. Aber hauptsache, Echt bleiben die Alten, wenn sie im Herbst ihr Comeback geben.
uem (Gast) - 27. Jun, 14:50

WTF?

"12 Mark damals für Selig und Nationalgalerie im Doppelpack"

*seufz

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