Perlen für die Säue

Freitag, 19. Oktober 2007

Sex, Drugs & Rock’n'Roll [Perlen für die Säue]

Ihr habt es sicherlich alle gehört: One Fine Day sind jetzt Hamburg! Dennoch: Den Tourauftakt für das zweite “Leg” ihrer “Damn Right”-Tour, welches die Ex-Kieler bis Ende Oktober durch ganz Deutschland führt, feiern die Punkrocker an alter Wirkungsstätte. Die Fans zieht es am Donnerstag trotz des Umzugs an die Elbe in Scharen in den Orange Club, um dem Rock’n'Roll zu frönen - oder dem, was sie dafür halten.

Die erste Hürde zum “Let There Be Rock” gibt es allerdings bereits beim Einlass: Eine meterlange Schlange trennt mich noch vom warmen Orange Club. Damit mich die Kälte nicht einholt, lenke ich mich zunächst damit ab, die Emo-Frisuren zu zählen. Sechzehn, siebzehn. achtzehn… da wird der Spaß abrupt unterbrochen vom netten Security-Mann: “Wer ist hier alles unter 16? Jetzt mal ganz ehrlich!” Ja, auch das Mitschleppen eines Erziehungsberechtigten ist nunmal Rock’n'Roll, und wer sich nicht an diesen Lifestyle hält, hat in der Trauma heute nunmal nichts verloren.

Kurz bevor ich mich dazu durchringen kann, dieser Maßnahme durch Applaudieren meine vollständige Solidarität auszusprechen, eröffnet sich bereits ein spannenderes Szenario: Eine Dreier-Combo fünfzehnjähriger Mädels möchte partout nicht den Tourauftakt und das vermutlich erste Rockkonzert ihres Lebens verpassen. Also wird der nette Securitymann belatscht, der sich - weil er eben ein netter Securitymann ist - darauf einlässt, am Handy die Eltern der Kids zu briefen: “Also das Konzert geht etwa bis 24 Uhr, so ist es auf jeden Fall eingeplant, plus/minus zehn Minuten. Sie können ihre Tochter dann im Eingangsbereich des Restaurants abholen.” Nach mahnenden Worten mit erhobenem Zeigefinger geleitet er die drei Mädels nun doch in den Club und spielt nun rund vier Stunden lang Baby- oder besser gesagt Rock’n'Roll-Sitter. Ich freu mich für die Kids, denn ich meine: Was ist mehr Rock’n'Roll, als eine Rock’n'Roll-Regel zu brechen, aber quasi durchs Hintertürchen (auch wenn es in diesem Fall der Haupteingang ist) doch noch Rock’n'Roll zelebrieren zu können? Eben!

Irgendwann bin ich dann auch endlich drin, schnappe mir eine Rock’n'Roll-Bionade vom Tresen und beobachte zwei junge Damen mit Kirsch-Ballerinas und schwarzen Haaren, die gerade vom üppig gefüllten Merchandise-Stand zurückkommen. In ihren Händen tragen sie stolz die neuen Tourshirts von One Fine Day, die dann auch sofort übergezogen werden müssen. Da ich die beiden Mädels nun überhaupt nicht mehr voneinander unterscheiden kann, schau ich mich weiter um: Das Durchschnittsalter beträgt vermutlich - mich eingeschlossen - 17 Jahre, und mittlerweile tragen schon 20 Leute dieses vermaledeite Tourshirt. Aber bevor ich in - gar nicht rock’n'roll-esque - Midlife-Depressionen verfallen kann, geht es endlich auf der Bühne los.

Amplify - so heißt die erste Band, die aus Hamburg kommt und auch sonst alle benötigten Klischees erfüllt: Ein Sänger, oder besser gesagt Shouter, mit Emoscheitel und Strähnchen, ein Bassist mit blaugrünen Haaren und einem wirren Look, als hätte er bunte Pillen eingeschmissen, ein Green Day T-Shirt - dies sind meine ersten Eindrücke. Dazu diese typische Melange aus Punkrock, leichten Emo-Elementen und diesem neumodischen NuMetal-Wumms, der vermutlich nur dazu da ist, damit der vierte Kumpel auch noch mitspielen kann. Mitsingen darf man bei den englischen und zuweilen auch deutschen Texten natürlich auch immer wieder gerne, zudem gibt es crazy Sprunge der drei Frontmänner auf der Bühne, immer wenn die Breaks in den Instrumentalparts nur so danach schreien. Und das Publikum? Es hält natürlich einen Respektsabstand und versammelt sich hinter der Grenze zur Tanzfläche, als würde man auf den Startschuss fürs Sackhüpfen warten. Vorbands sollte man auch nicht zu sehr unterstützen, stimmt schon.

Als zweite Band dann die Kieler wax.on wax.off, der - ich gebe es hiermit zu - eigentliche Grund für mich, den Orange Club zu beehren. Das Trio spielt dann auch am ehesten das, was die Ramones damals als Punkrock ausgemacht hatten. Textlich und auch musikalisch erinnert die Band um Frontklops Thorsten “Johnny Hotrod” Rott am ehesten an die Nerdpunks der hierzulande leider kaum bekannten Nerf Herder, und so verwundert es nicht weiter, dass ihr Album “A Lecture on Geek Mythology” bislang nur in den USA ein Abnehmerlabel gefunden hat. Trotz alledem wirken wax.on wax.off in ihren Ansagen und mit ihrem Dialekt typisch norddeutsch und können die junge Meute schon ein kleines bisschen mehr begeistern - auch wenn sie nicht in das typische Emopunkrock-Raster fallen. Das Trio zaubert auf jeden Fall mehr als alles andere den Rock’n'Roll in den Orange Club.

In exakt dem Augenblick, in dem wax.on wax.off die Bühne verlassen, fällt diese unsichtbare Grenze, die die Kids offenbar vom Betreten der Tanzfläche abgehalten hat. Nun verharren sie allesamt dort, schauen dabei zu, wie Melle von delta radio, ihres Zeichens auch Managerin von One Fine Day, auf der Bühne die fünf Handtücher - für jedes Bandmitglied eines - strategisch verteilt und anschließend die Setlists auf dem Boden festklebt. Mittlerweile ist es viertel nach zehn, als die Protagonisten endlich anfangen. Waren die Lautstärkeregler bislang nur auf Stufe 10 gestellt, ist es nun die 11. Es dröhnt unglaublich in den ersten Sekunden, aber auch das ist nunmal Rock’n'Roll. Als dann Sänger Marten, natürlich als Letztes, die Bühne betritt und gleich drauflossingt, haben sich die Gehörgänge mittlerweile dran gewöhnt, und einer ausgelassenen Party steht nichts mehr im Wege. Im Vergleich zu den Anfangstagen haben sich One Fine Day stilistisch weiterentwickelt und spielen nun genau das, was die Kids hören wollen - und nicht andersrum! Die Musiker haben mittlerweile das Posen gut drauf, das macht sich auf Postern, Fotos und vor allem in Musikvideos immer ganz gut. Beim Konzert ist es aber eigentlich egal, denn die Fans sind bis auf wenige Ausnahmen mit sich selbst und den Pogoremplern gegen die Nebenmänner (und vor allem -frauen!) beschäftigt.

Klingt alles gemein, aber der Erfolg gibt One Fine Day nunmal recht. Und ganz unter uns: Die Hamburg-Dammtor-Hymne “Goodbye Reality” ist nunmal ein verdammter Hammer-Ohrwurm! Von daher bleibt mir nur, mich vor dem Schaffen der Ex-Kieler zu verbeugen. Halt, nein: Besser den Zeige- und den kleinen Finger in die Luft reißen - denn das ist Rock’n'Roll!

Dienstag, 2. Oktober 2007

“More Culture, less Prostitutes” [Perlen für die Säue]

Vorkehrungen werden getroffen im Blauen Engel zum Auftakt der “Blauer Montag”-Herbstsaison: Alle Tische direkt vor der Bühne werden rausgeschmissen, denn es soll ja schließlich kein Sitzkonzert werden, wenn The Jakpot mal zu Gast sind. The Jakpot? Richtig, wie der Name schon vermuten lässt, spielt die Band aus Manchester tanzbaren Indiepop typisch britischer B(r)auart.

Eigentlich sind The Jakpot ja viel zu spät dran. Vor zwei Jahren, im musikalischen Fahrwasser von Maximo Park und Th­e Kooks, da wäre ihr demnächst erscheinendes Debüt-Album “Throw Away Culture” vermutlich noch weggegangen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Aber das Quartett gehört nunmal zu der nachkommenden Generation, zusammen mit Bands wie den Wombats und Little Man Tate haben sie es natürlich ungleich schwerer, noch den Durchbruch zu schaffen. So heißt es auf ihrer myspace-Seite “Blauer Engel, Kiel” zum Tourabschluss ihrer bereits dritten kleinen Deutschlandreise innerhalb der letzten zehn Monate statt “Große Freiheit, Hamburg”. Oder wie Sänger und Gitarrist Matt Watkins es simpel ausdrücken würde: “More culture, less prostitutes”.

Als Gewinner der späten Bandgeburt dürfen sich die rund 150 Gäste im Blauen Engel fühlen, die rund 60 Minuten bestens unterhalten werden. Gleich zu Beginn spielen The Jakpot mit “Turning Point” ihren Überhit, der in einer besseren Welt stündlich auf delta radio laufen würde. In ihren Songs geht es vor allem ums Aufwachsen, ums Älterwerden - und weil The Jakpot Briten sind, natürlich auch um das Bier nachm Feierabend. Tanzbar ist es wie Hulle, klingt mal nach Maximo Park, mal nach den Fratellis, mal nach den Libertines und hat natürlich in jedem zweiten Song Mitsingstellen mit dutzenden ‘la’s, ‘ba’s und ‘da’s, die man auch im Delirium noch mitschmettern kann. Mitten im Set darf Matt Watkins auch noch zwei Songs solo darbieten, dann klingt das ganze nach den Kooks. Nein, innovativ sind The Jakpot nicht, aber darum geht‘s ja auch nicht.

Die Melodien stehen gegenüber den beiden Gitarren klar im Vordergrund, Leadgitarrist Neil Duckworth nutzt daher seine häufigen “spielfreien” Passagen in den Songs, um das Publikum zum rhythmischen Mitklatschen zu animieren. Dies klappt im Laufe des Konzerts auch immer besser, der Funke springt langsam über: Während anfangs nur die erste Reihe, die von der Insel mitgereisten “Ultras” der Band, die sich passenderweise “The Blak Jaks” nennen, sichtbar mitfeiert, verwandelt sich der Blaue Engel mehr und mehr in einen Tanzclub.

Während des Konzerts werde ich gefragt, wo denn plötzlich all diese Indiemenschen her kommen. Ich weiß es nicht. Ich kann nur hoffen, dass sie alle spätestens zu den Mary Onettes Ende Oktober wieder den Weg in den Blauen Engel finden. Die Herbstsaison ist eröffnet, und sie hätte kaum stimmungsvoller eingeläutet werden können!

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